„Mythen der Mitte“ . Zur Konstruktion nationaler Wertezentren im 19. und 20. Jahrhundert
24. Oktober bis 26. Oktober 2002, Goethe National-Museum, Frauenplan 1
Seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert avancierte der die heutigen Bundesländer Thüringen, Sachsen und Sachsen-Anhalt umfassende Kulturraum in regionalen und nationalen Diskursen zur geistig-kulturellen „Mitte Deutschlands“. Im Ergebnis dieser symbolisch-semantischen Aufladung wurde die politik-, sozial- und kulturhistorisch stark verdichtete Region zu einem Wertezentrum der gesamten deutschen Nation stilisiert.
Die Tagung „Mythen der Mitte“ – Zur Konstruktion nationaler Wertezentren im 19. und 20.Jahrhundert wird sich – ausgehend vom deutschen Beispiel – mit der Stilisierung von Regionen zu topographisch verorteten und geistig imaginierten Wertezentren von Nationen im europäischen Vergleich auseinandersetzen. Beabsichtigt ist eine Analyse der auf markante Geschichts- und Industrielandschaften oder einzelne Orte gerichteten Sinnstiftungskonzepte und der darin enthaltenen Deutungsmuster im Kontext regionaler und nationaler Diskurse. Zugleich wird nach deren Produzenten und ihren intellektuell-sozialen Milieus und Netzwerken als Vermittlungsinstanzen gefragt. Dabei interessieren die auf geistig-kulturellem bzw. geisteswissenschaftlichem Gebiet tätigen gebildeten Schichten ebenso wie die im gesellschaftlichen Status konkurrierenden, im 20. Jahrhundert immer stärker mit eigenen gesellschaftlich-philosophischen Konzepten hervortretenden Techniker, Ingenieure, Architekten und andere Gruppen der naturwissenschaftlich-technischen Intelligenz.
Projekt und Tagung sind Ergebnis der Zusammenarbeit zwischen der Stiftung Weimarer Klassik (Abteilung Forschungsförderung und -organisation), der Friedrich-Schiller-Universität Jena (Historisches Institut, Professur für moderne mitteldeutsche Regionalgeschichte) und der Bauhaus-Universität Weimar (Professur Entwerfen und Architekturtheorie und Gropius-Professur). Projektleiter: Prof. Dr. Lothar Ehrlich (Stiftung), Prof. Dr. Jürgen John (Universität Jena), Prof. Dr. Marco De Michelis (Gropius-Professor), Prof. Dr. Gerd Zimmermann (Bauhaus-Universität).
Tagungsprogramm
Donnerstag, 24. 10. 2002
14.00 Uhr
Grußwort: Hellmut Seemann, Präsident der Stiftung Weimarer Klassik (Weimar)
Eröffnung: Lothar Ehrlich (Weimar)
Einführung in das Tagungsthema: Jürgen John (Jena)
14.30-19.00
Sektion I: „Deutschlands Mitte“. Wertezentren der „Mitte“ im nationalen Diskurs Moderation: Georg
Bollenbeck (Siegen)
Hans-Dietrich Schultz (Berlin) – Deutschland und seine „Mitte“ aus der Sicht der klassischen (länderkundlichen) Geographie
Heinrich Dilly (Halle) – Wilhelm Waetzold, der Erzieher. Ein Kunsthistoriker in Hauptstadt und Region
Detlef Altenburg (Weimar) – Weimarer Konzepte für eine nationale Kultur. Franz Listzs Projekt einer „Goethe-Stiftung“, die Großherzogliche Orchesterschule und der Allgemeine Deutsche Musikverein
Rüdiger Haufe (Weimar) – Der „deutsche Wald“ und seine „Tempelhüter“. Thüringer Heimat- und Wandervereine im 19. und 20. Jahrhundert
Susanne Ude-Koeller (Göttingen) – Natur als patriotischer Erfahrungsraum. Zur Nationalisierung des Harzes durch den Verein Harzklub e.V.
Freitag, 25. 10. 2002
9.00-12.15
Fortsetzung der Sektion I
Moderation: Justus H. Ulbricht (Weimar)
Martin Wald (Berlin) – Der Heldenkönig und die Jungfrau, im Tode vereint. Lützen und Magdeburg als mitteldeutsche Symbolorte des Protestantismus
Thomas Henne (Frankfurt am Main) – Das Reichsgericht in der „Mitte Deutschlands“
Christiane Wolf (Weimar) – Ein „heiliger Hain“ im „Herzen Deutschlands“. „Mitteldeutsche“ Denkmalsdebatten im 20. Jahrhundert
Monika Gibas (Leipzig) – Das „Land der lauten Arbeitssinfonie“. Das neue Leitbild vom „mitteldeutschen Industrierevier“ und seine Konstrukteure in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts
14.00-18.15
Sektion II: „Deutschlands Regionen“. Regionen als Wertezentren im nationalen Diskurs
Moderation: Reinhard Farkas (Graz)
Siegfried Weichlein (Berlin) – „Im Zeichen des Verkehrs“. Mittel- und süddeutsche Verkehrsräume als Wertezentren im nationalen Diskurs
Sönke Löden (Dresden) – „Das deutsche Weihnachtsland“. Das sächsische Erzgebirge im Spannungsfeld ökonomischer, touristischer und kultureller Diskurse 1870-1930
Stefan Laube (Wittenberg) – Kulissen der „Mitte Deutschlands“. Deutsche Landschaften im „Faust“
Moderation: Gerd Zimmermann (Weimar)
Winfried Speitkamp (Gießen) – Versuche hessischer Identitätskonstruktionen im nationalen Kontext
Georg Mölich (Köln) – Der Rhein und das Rheinland als deutscher Kernraum
Samstag, 26. 10. 2002
9.00-12.15
Sektion III: „Deutschlands Nachbarn“. Grenz- und Regionsdiskurse in nationalen Narrativen
Moderation: Joachim von Puttkamer (Jena)
Thomas Müller (Aachen) – Der „Grenzraum“ als „Mitte“. Grenzübergreifende Identitätspolitik am Beispiel Aachens
Hartmut Frank (Hamburg) – Die Erfindung von Heimat – Die „Baufibel Lothringen“
Guido Hausmann (Köln) – Die Wolga als nationales und imperiales Wertezentrum
Peter Haslinger (München) – Der Rand als Zentrum. Die deutsch besiedelten Grenzregionen der böhmischen Länder als symbolische Landschaft des tschechischen nationalen Diskurses (1880-1938)
13.30-15.30
Justus H. Ulbricht (Weimar) – Wege durchs „Herz deutscher Kultur“ – eine Stadtführung
15.30-17.45
Moderation: Marco De Michelis (Venedig)
Gianantonio Paladini (Venedig) – Regionalismus und Nation: der italienische Fall
Steen Bo Frandsen (Hannover) – Dänemark – Reich ohne Regionen. Die Verortung von Wertezentren in einem zentralisierten Staat
Undine Ruge (Göttingen) – Die Region als wahres Vaterland? Zum Verhältnis von Region, Nation und Europa in den intellektuellen Diskursen der französischen Integralföderalisten
Tagungsbüro/Informationen:
Stiftung Weimarer Klassik, Bereich Forschungsförderung und -organisation
Postfach 2012, 99401 Weimar
Tel.: (03643) 545270
e-mail: forschung@weimar-klassik.de